Leben zwischen den Häusern

Carte blanche in der Volksstimme vom 9. Juni 2020

Eigentlich wollte ich in dieser Carte Blanche nicht über Corona schreiben. Dennoch bilden meine Erfahrungen und Wahrnehmungen während der Zeit des Lockdowns den Anlass für das Thema meines Beitrags. Ich bin in dieser Zeit, wie viele andere auch, öfter spazieren gegangen und habe dabei die Strassen und Wege in meiner Umgebung viel bewusster wahrgenommen. Was macht eigentlich den Strassenraum unserer Dörfer und Zentren einem Ort, an dem ich mich gerne aufhalte oder wo ich gerne zu Fuss unterwegs bin?

In meiner Wahrnehmung sind es Eigenschaften wie Vielfalt, Abwechslung, schön und unterschiedlich gestaltete Vorgärten, Vogelgezwitscher, Düfte, Farben, oder auch schattenspendende Bäume und Sträucher. Für mich attraktiv sind zudem offen und verschiedenartig gestaltete Räume, die den eintönigen Strassenraum erweitern. Und wenn ab und zu ein Platz mit einem Brunnen oder einem Bänkli zum Sitzen und zum Plaudern mit Bekannten oder auch Fremden einlädt – um so besser.

Und wie sieht die Realität des Strassenraums in unseren Dörfern aus? Hat er Sie zum Spazieren, zum Entdecken oder gar zum Verweilen eingeladen? Spricht er Ihre Sinne an? Oder dient er vor allem der Durchfahrt des Verkehrs und, wenn es hochkommt, mit einem Trottoir auch noch der Sicherheit der Fussgänger?

Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der bekannte dänische Architekt und Stadtplaner Jan Gehl damit, Plätze, Strassen, ja ganze Stadtviertel zum Wohle der Bewohner neu- oder umzugestalten. Sein wichtigster Grundsatz für die Analyse und die Massnahmen der Stadtplanung ist das „menschliche Mass“: der Stadtraum muss, statt aus einem fahrenden Auto heraus, mit der Geschwindigkeit eines Fussgängers erlebt werden. Es ist beeindruckend, wie sich mit gezielten Gestaltungsmassnahmen aus der Perspektive der Fussgänger gewisse grosse Städte wie z.B. Kopenhagen oder Melbourne oder einzelne Quartiere etwa in Paris oder Berlin, in den vergangenen Jahren zu attraktiven Orten der Begegnung entwickelt haben. Sie sind heute deutlich interessanter und viel belebter als noch vor einigen Jahren. Persönliche Treffen in der Stadt und das Kennenlernen „von Angesicht zu Angesicht“ bieten unerwartete Erlebnisse und machen die Städte als Orte der Begegnung attraktiv.

Was für die grossen Städte dieser Welt gilt, gilt im Kleinen auch für die Zentren und Dörfer des Baselbiets. Die neu gestaltete Rathausstrasse in Liestal mit den Strassencafés und dem samstäglichen regionalen Genussmarkt als Begegnungsort könnte man ebenfalls als Beispiel anführen.

Es besteht aber, wie die Wahrnehmungen anlässlich meiner Spaziergänge zeigen, auch noch einiges Verbesserungspotential. Ich denke da vor allem an die Gestaltung des Strassenraums in unseren Wohnquartieren, und meine damit nicht nur den Raum der öffentlichen Strasse und des Trottoirs, sondern bewusst auch die privaten Vorgärten zwischen den Häusern und der Strasse.

Ich schliesse mit der Aufforderung von Jan Gehl: „Sorgt gut für die Menschen und das Leben zwischen den Häusern“.

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